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Draußen, auf dem See



Emmerich Varga ist Berufsfischer, einer von den vierzehn, die am Neusiedler See noch aktiv sind. Sein Handwerk, auf das er stolz ist, hat er vom Vater und vom Großvater gelernt.


Früh am Morgen liegt der See verlassen im ersten Sonnenlicht, leichter Westwind kräuselt die Wellen. Die Wasserfläche ist durch einen breiten Schilfgürtel vom Leben am Ufer abgetrennt. Hier herrscht Stille, hin und wieder unterbrochen vom Auffliegen eines Vogels. Nach Süden zu verliert sich der Horizont im Dunst.


Irgendwann erscheint dann aus dem Schilf eine schmale Zille. Zwei Männer halten auf einen Pfahl zu, drehen das Boot in einem eleganten Schwung und fixieren es mit langen Stangen, die sie in den Grund rammen. Dann bücken sich Emmerich Varga und sein Vater nach der Reuse und holen sie auf. Mit geübten Griffen drehen sie das Netz um und leeren den zappelnden Fang ins Boot: Wels, Hecht, Zander, Karpfen. Die Fische kommen in eine mit Wasser gefüllte Kiste und das Boot fährt weiter, zur nächsten Reuse.


Der Neusiedler See, wie ihn die Fischer kennen, ist eine abgeschiedene Welt. Seine Grundfläche ist fast so groß wie die der gesamten Stadt Wien. In dem dichten Schilfgürtel, der die offene Wasser-fläche einschließt, gibt es unzählige Reusenschluchten, kleine Kanäle, die von den Fischern oft vor Generationen angelegt wurden. Den Normalsterblichen bleibt dieses wundersame System von verwinkelten Wasserstraßen verborgen und es ist nicht immer leicht, sich darin zu orientieren. Manche Informationen sind vom Großvater überliefert, zum Beispiel der Blick auf die Kirche von Podersdorf zwischen zwei markanten Bäumen, der es dann erlaubt, die richtige Abzweigung im Schilf zu nehmen. Emmerich Varga, der immerhin sein Leben lang als Fischer den See befährt, gibt zu, dass er gerne sein GPS dabei hat. In seinem Revier, zwischen Podersdorf und Weiden, kenne er sich schon ganz gut aus, sagt er, aber "drüben", auf der Westseite des Sees, sei das schon schwieriger.


REUSE UND ZUGNETZ

Auch sonst ist die Arbeit der Fischer vom Neusiedler See nicht trivial. Bei stärkerem Südwind hat es zum Beispiel überhaupt keinen Sinn auszufahren. Dann müssten die Männer nämlich ihr Boot quer zu den Wellen fixieren, um an die Reusen zu kommen, und die Schaukelei in der schmalen Zille wäre so wild, dass an vernünftige Arbeit nicht mehr zu denken wäre. Emmerich Varga erinnert sich auch an Tage, an denen er draußen von heftigen Unwettern aus Westen überrascht wurde und der Wasserstand durch die Gewalt des Sturms in kurzer Zeit so stark stieg, dass die Anlegestelle und sogar die Wiese, auf der er sein Auto zurückgelassen hatte, überflutet war.


Nein, einfach ist diese Arbeit nicht, und so erklärt es sich auch, dass die Anzahl der Fischer kontinuierlich abnimmt. In der Zeit der Monarchie war die Fischerei noch ein bedeutender Wirtschaftszweig für die Region, in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immerhin rund fünfzig Berufsfischer; mittlerweile sind es gerade einmal vierzehn, darunter bereits einige "Auslaufmodelle", wie Emmerich Varga sagt. So hat zum Beispiel kürzlich ein Kollege den Betrieb aufgegeben, nachdem sein siebzigjähriger Vater verstorben ist und er keinen Weg gesehen hat, auf sich allein gestellt mit der Arbeit zurechtzukommen.


Die Arbeit an den kleineren Reusen und Stellnetzen könnte man zur Not zwar alleine bewältigen, hilfreich ist es trotzdem, einen Zweiten im Boot zu haben. Aber schon die Trappnetze, eine Art großer Reuse, wären für einen allein überhaupt nicht mehr zu bewältigen, und wenn dann zwischen Juni und Dezember mit Zugnetzen gefischt wird, dann fährt die Familie Varga zu dritt aus, Emmerich, sein Vater, der ebenfalls Emmerich heißt, sowie eine Hilfskraft. Zwischen fünf Uhr früh und Mittag wird dann immer wieder das dreihundert Meter lange Netz ausgebracht, eingeholt, geleert und wieder ausgebracht, eingeholt und geleert - eine schwere Arbeit, bei der jeder Durchgang mehr als eine halbe Stunde dauert.


Dass die Familie Varga zu denen gehört, die immer noch gut zurecht kommen, liegt auch daran, dass man schon vor dreißig Jahren umgedacht hat. Emmerich Varga erinnert sich noch gut daran, wie er mit seiner Großmutter zum Fischverkauf nach Mönchhof gefahren ist. Das Fahrrad vollgepackt mit Fischpaketen, links vom Lenker, rechts vom Lenker, auf dem Gepäcksträger. Der kleine Emmerich saß in der Mitte des Lenkers und war auch dafür verantwortlich, dass das Fahrrad nicht umfiel, wenn es die Großmutter bei einem Haus anlehnte, um Fisch zu verkaufen. Damals kamen viele Wirte aus dem Großraum Wien um sich vom täglichen Fang zu holen, was sie brauchen konnten.


LOB DES KARPFEN

"Mein Vater hat sich dann gedacht, dass man mehr davon hat, wenn wir das Produkt selbst veredeln", sagt Emmerich Varga. Also machte man in den siebziger Jahren den nächsten Schritt und eröffnete das Restaurant in Gols. Außerdem absolvierte Emmerich Varga eine Kellnerlehre. Damals entstand der Rhythmus, der bis heute sein Leben bestimmt. In der Früh hinaus auf den See, zu Mittag zurück mit dem frischen Fang und dann die Arbeit im Restaurant. Inzwischen ist noch viel weiter gebaut worden: Im Keller gibt es einen Raum mit glänzenden Nirostaplatten, auf denen der tägliche Fang sofort nach der Heimkehr von zwei Arbeitern filetiert wird, in einer Scheune blubbert das Wasser, in denen getrennt nach Raubfisch und Friedfisch, Welse, Hechte, Karpfen und Aale schwimmen.


Die Debatte um den Aal kann Emmerich Varga daher mit Gelassenheit sehen, auch wenn sein Großvater, der noch ausschließlich vom Fisch gelebt hat, in den fünfziger Jahren unter den ersten war, die Aale im See aussetzten. Der Aal brachte den Fischern vom Neusiedler See viele Jahre gutes Geld. Die ausgewachsenen Fische wurden gefangen, in einem Bassin bei Oggau zwischengelagert und dann mit dem Tanklastwagen exportiert. In den fetten Jahren kam man auf jährliche Rekordmengen von hundert Tonnen exportiertem Aal. Deutsche, Holländer und sogar Belgier gehörten zu den Abnehmern. Da aber nach langen Debatten um den Naturschutz im Nationalpark Neusiedler See das Aussetzen von Aalen seit 2003 endgültig verboten ist, werden gegenwärtig pro Jahr gerade einmal acht Tonnen gefangen.


Emmerich Varga zuckt die Schultern. Für ihn ist der Verlust nicht groß. "Inzwischen gibt es auch schon Aalzuchten und der Preis sinkt", sagt er. Außerdem ist er überzeugt von den anderen Fischen, die er aus dem See holt. Zum Beispiel die Karpfen vom Neusiedler See, an deren Rippen dank des besonderen Reviers deutlich weniger Fett sitzt als bei anderen Exemplaren derselben Gattung und an deren Fleisch er die besondere Festigkeit lobt. Überhaupt kann man von Emmerich Varga viele interessante Details erfahren, etwa woran man den Zander "vom Rohr" erkennt, also den, der nahe am Schilfgürtel lebt, dessen Schuppen dunkel sind, beinahe lila an der Brust, während der Zander, der auf dem offenen See lebt, deutlich heller ist. Er kann viel erzählen, über die Kanten am Seeboden, an denen sich der Fisch bei bestimmten Wetterlagen aufhält oder wie man mit einem Wels umgeht, der im Laichrausch in einer engen Reuse randaliert.


Eine offizielle Lehre als Fischer hat er übrigens nie absolviert. (Überhaupt hat nur einer der Fischer vom Neusiedler See die Fischereischule am fernen Mondsee besucht.) Zu der Zeit von Großvater Varga musste man noch eine eigene Reuse "stricken", um in die Genossenschaft am Neusiedler See aufgenommen zu werden, die alle Angelegenheiten der Fischerei regelt, von den Pachtverträgen mit den Gemeinden bis zur Aufteilung der Reviere unter den Fischern oder den Einsatz von Trappnetzen. Heutzutage ist die Zahl der Anwärter so überschaubar, dass ein formelles Aufnahmeverfahren überflüssig ist, die Fischerei wird in der Familie weitergegeben.


A propos Familie: Um die Zukunft seines Betriebes macht sich Emmerich Varga keine Sorgen. Sein Sohn Hannes, der gerade eine Lehre als Koch hinter sich hat, ist zwanzig Jahre alt und arbeitet bereits im Restaurant mit. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass er auch eines Tages die Fischerei übernehmen wird.


Fischerei-Restaurant Varga Untere Hauptstraße 123, 7122 Gols Im Restaurant sind auch Karten für Sportfischer erhältlich


Foto: © Andreas Pessenlehner Erschienen im Wiener Journal, 9. Juni 2010


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